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Hospiz- und Palliativdienst: Mit Menschlichkeit aus der Krise gekommen

Angela Schmidt-Gieraths leitet seit 2012 den ambulanten Hospiz- und Palliativdienst des Evangelischen Diakonissenhauses Berlin Teltow Lehnin und füllt ihn mit einer berührenden Wärme und Hingabe aus. Wir stellen sie und ihre Arbeit im Interview vor, in dem sie auch auf das intensive Jahr 2020 zurückblickt.

 

 

Frau Schmidt-Gieraths, seit wann gehören Sie dem EDBTL an?

 

Seit sage und schreibe 40 Jahren. Ich habe 1981 meine Ausbildung zur Krankenschwester in Lehnin absolviert.

 

Sie prägen also das Diakonissenhaus schon sehr lange. Wie sah ihr Weg hierher aus?

 

Ich bin in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen. In der DDR litten Christen aber unter Repressalien, weil wir natürlich nicht bei den Jungpionieren und der Freien Deutschen Jugend waren und selbstverständlich keine Jugendweihe mitgemacht haben. Das hieß für mich, dass ich kein Abitur machen durfte – was ich eigentlich sehr gerne wollte. Und als ich mit 16 Jahren von der Schule ging, hatte ich keine Ahnung, welchen Beruf ich lernen sollte.

 

Meine Mutter hat damals im Stift in Lehnin den Kindergarten geleitet, und sie machte mir den Vorschlag, am zugehörigen Lehniner Krankenhaus eine Krankenschwesterausbildung zu machen. Ich habe mich ein bisschen dazu überreden lassen, und – ganz ehrlich – das erste Jahr war sehr schwierig. Wie gesagt, ich war 16. Und mein erster praktischer Einsatz war im Altersheim. Die Eindrücke dort und die Aufgaben fielen mir schwer. Da habe ich etwas mit mir und der Situation gehadert.

 

Harte Aufgaben für ein junges Mädchen?

 

Ja. Und dazu kamen ja auch noch viele andere Aufgaben: die Asche rausbringen, Badeöfen heizen, die Schweine füttern, in der Küche stundenlang Zwiebeln schneiden! Aber, was toll war: Ich habe richtig putzen gelernt! Und nach einer Weile hat mir der Job richtig Freude bereitet, weil ich mehr Patientenkontakt haben durfte.

 

Und dann sind Sie mehr mit Ihrer Tätigkeit verwachsen?

 

Ja. Und ich mochte die Atmosphäre sehr: in der Schule, auf Station, im Chor, bei den vielen Aktionen im Stift. Es war ein wirklich schön gestaltetes christliches Miteinander – abgetrennt von der „DDR-Welt da draußen“. Diese Stimmung fehlt heute. Damals war es richtig heimelig.

 

Wie ging es beruflich dann weiter für Sie?

 

Nach meinem Abschluss habe ich zuerst auf der Chirurgie gearbeitet, dann habe ich meine Kinder bekommen, danach auf der Inneren gearbeitet. Und dann – kam die Wende. Ein Rieseneinschnitt in unserem Leben! 1989 kamen viele Ärzte aus Westdeutschland zu uns. Sie brachten einen ganz anderen Wind mit! Das war eine echt spannende Zeit. Zu DDR-Zeiten war es so, dass wir sozusagen dienend tätig waren und die Chefärzte wurden richtiggehend verehrt. Da haben wir ehrfürchtig geschwiegen, wenn der Arzt über den Flur schritt. Es war sehr hierarchisch. Bezeichnend ist da echt die Story, als mein neuer Chef aus dem Westen mir auf dem Klinikflur entgegenkam, mit Schafwollweste und einen Apfel kauend. Was für ein Bild! Wir sind uns dann endlich alle auf Augenhöhe begegnet. Das war ein ganz anderes Arbeiten, dass mein demokratisches Grundverständnis bestärkt hat.

 

Die Wendezeit war unglaublich, oder?

 

Total! Ich meine, wir hatten ja über die Kirchengemeinde einige Westkontakte, mit denen wir uns schon vor dem Mauerfall in Tschechien getroffen haben. Wir hatten also schon ein paar Eindrücke gesammelt. Aber 1989 habe ich eine Reise mit Jugendtourist, dem FDJ-Reisebüro, eine Rundreise durch Russland gemacht – und habe dann im Baltikum die flirrende Stimmung erlebt, den Widerstand gesehen! In großen Städten wie Leipzig und Berlin war die Stimmung natürlich auch schon aufgeheizt. Aber in Lehnin haben wir das erst so im September 89 gespürt. Ich bin aber auch auf Demos in Potsdam gewesen – die Stimmung war einfach „wow“! Ich war fasziniert. Aber auch vorsichtig. Schließlich wussten wir alle, was für eine Gewalt gegen die Demonstranten beim Prager Frühling angewendet wurde. Und ich war eine junge Mutter, ich wollte nicht zu viel riskieren.

 

Wie ging es weiter in Ihrem Job?

 

Ich habe dann auf der Intensivstation gearbeitet – Leben retten, das war natürlich super. Aber es keimte so ein Gefühl in mir auf, dass diese Apparatemedizin nicht mehr das Richtige für mich ist. Ich hatte ein Schlüsselerlebnis in der Weihnachtszeit, als ich für die Patienten an Heiligabend die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium vorgelesen habe. Danach bin ich wieder runter auf meine Station, und der Patient, den ich eben noch gepflegt hatte, war ausgetauscht. Gestorben. Ein neuer Patient lag in dem Bett. Da wurde mir bewusst, wie sehr mir die Intensität der Zwischenmenschlichkeit, wie sie bei der Sterbebegleitung vor allem gebraucht wird, bei der Arbeit fehlt. Ich habe dann die neue Palliativstation mit aufgebaut und geleitet. 2021 bin ich in die Altenhilfe gewechselt und habe den ambulante Hospiz- und Palliativdienst Potsdam Mittelmark von einer Kollegin, die in Rente ging, übernommen

 

Wann kam im Jahr 2020 ihr erster Corona-Schock?

 

Schon im März, als der erste Lockdown angeordnet wurde. Alle Einrichtungen waren von heute auf morgen zu! Schockstarre. Die Ehrenamtlichen durften nicht mehr zu den Sterbenden – und das ist doch der Kern unserer Arbeit! Die Wochen gingen ins Land, der erste Schock legte sich langsam, aber umso mehr stellten wir uns die Frage: Wie kann‘s denn nun weitergehen? Die Ehrenamtlichen durften wir weiterhin nicht treffen. Also haben wir für sie kleine Päckchen geschnürt, mit einer selbst erstellten Zeitung, mit Rezepten und anderen kleinen Geschenken. Zügig haben wir uns auch digital organisiert, haben Telefonkonferenzen gestartet und Supervision für die Ehrenamtler per Videocall gemacht. Da staunt man dann doch, was so geht!

 

Wie ist jetzt der Stand der Dinge?

 

Als die ersten Einrichtungen wieder geöffnet wurden, hat unsere Geschäftsführung meine drei Kollegen und mich direkt losziehen lassen – das war wirklich super. Da konnten wir wenigstens schon mal ein bisschen was ausrichten. Im Sommer 2020 durften die Ehrenamtlichen ja wieder los, und inzwischen sind sie geimpft. Aber wir leben mit einem kleinen Kompromiss. Wir arbeiten mit angezogener Handbreme, denn mit Maske, Schutzkleidung und Abstand ist es nicht dieselbe Begegnung mit den Sterbenden, die früher möglich war. Und genau das ist aber Hospizarbeit: Begegnung, Berührung, Beziehung. Und auch die Ehrenamtlichen brauchen dieses Zusammensein, sie wollen gebraucht werden. Und wir sind so vorsichtig. Wir hatten nur sehr wenige Infektionen, drei oder vier von 100 Ehrenamtlichen.

 

Wie haben Sie das letzte Jahr empfunden?

 

Fakt ist: Die Nachfrage für Trauerbegleitung hat enorm zugenommen! Und auch unsere Ausbildungskurse für Sterbebegleiter sind sehr nachgefragt. In der Regel haben wir einen Kurs pro Jahr angeboten. Jetzt sind es vier. Das vergangene Jahr habe ich als große psychologische Herausforderung wahrgenommen. Als Leitung hat man ja einen Rahmen vorzugeben, und den zu halten, war anstrengend. Dauernd frag ich mich: Was muss ich absagen, was darf ich durchführen, was geht mit Abstand und so weiter. Und ich muss erspüren und herausfinden, wo die Angst sitzt und sie möglichst nehmen. Und dennoch: Es war auch ein kreatives Jahr! Denn wir haben geübt, wie Hospiz- und Trauerarbeit trotzdem geht. Und ich habe sehr viel EDV-Sachen gelernt!

 

Und eine ganz wichtige Sache ist mir im letzten Jahr klarer geworden: Zum einen, ja: Die ganzen Corona-Einschränkungen sind herausfordernd. Aber zum anderen und das ist ein zutiefst hospizliches Thema – wenn ich Not bin: wo sind meine Quellen, wo schöpfe ich Kraft, und wann fühle ich mich bei mir selbst zuhause? Von daher ist es auch eine lehreiche Zeit.

 

Haben Sie ein Wort für 2020?

 

Nicht nachholbar.

 

Wie geht es weiter?

 

Mit Augenmaß und mit Menschlichkeit werden wir aus dieser Krise herauskommen. Klar, manchmal bin ich auch verzweifelt und entmutigt. Aber diese Zeit hat auch deutlich gemacht, wie wichtig und notwendig unsere Arbeit ist.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

 

Mit dem ambulanten Hospiz- und Palliativdienst haben es sich Menschen zur Aufgabe gemacht, Schwerstkranke und Sterbende sowie deren Angehörige und Freunde zu begleiten, Hilfe und Nähe anzubieten und - wo gewünscht - ein Verbleiben in der vertrauten Umgebung zu ermöglichen. Im Landkreis Potsdam-Mittelmark finden Sie uns an vier Standorten:

 

 

 

 

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